Die Idee

MEHR ALS 10.300 PFLEGEN KUNST, FREUNDSCHAFT UND HUMOR

Unter den bekannten Herrengesellschaften ist die „Schlaraffia” wohl die fröhlichste.
Sie ist aber auch die einzige in der weltweit deutsch gesprochen wird – nicht nur in Westerland oder Immenstadt, Bern oder Wien. Für Schlaraffen in Frankreich, Schweden, Spanien, Nord- und Südamerika, Kanada, Japan, Südafrika, gleich welcher Nationalität und Rasse, ist ebenfalls während der eigenen Veranstaltungen die deutsche Sprache vorgeschrieben. Mehr als 10.300 Mitglieder in 261 Ortsvereinen gibt es, 156 davon in der Bundesrepublik, 58 Vereine zählen zum Landesverband Österreich, 13 zur Schweiz. Von „Reychen” oder erst „Colonien” ist allerdings die Rede, denn Schlaraffen leben in einer eigenen Welt des Spiels mit besonderen Worten und Formen, um sich wenigstens für einen Abend in der Woche im eigenen „Reych” vom Alltag abzusetzen. Die eigene Zeitrechnung zählt das 138. Jahr seitdem in Prag vor allem einige deutsche Mitglieder des dortigen Theaters am 10. 10. 1859 die Vereinigung gründeten. Übrigens als „Proletarier-Club”. Warum daraus dann die „Schlaraffia” wurde, ist nicht mehr genau zu bestimmen. Jedenfalls betrachtet sich die Gemeinschaft gleichgesinnter Männer nicht als Müßiggänger im märchenhaften Schlaraffenland. Mit Kunst, Freundschaft und Humor als praktizierten Idealen steht sie vielmehr mitten im Leben, obwohl man „Ihr” und „Euch” zueinander sagt, von Burgfrau und Burgmaid erzählt, mit einigem den Gast zunächst verwirrt.

Wie man Schlaraffe wird…

Schlaraffe ist weder Geheimbund noch Loge, weder Karnevalsgesellschaft noch Kunstverein. „Aufnahme finden nur Männer von unbescholtenem Rufe in reiferem Lebensalter und gesicherter Stellung, die Verständnis für die idealen Zwecke Schlaraffentums haben und gewillt sind, sie zu verwirklichen”, so steht es in der Satzung. Sie regelt, wann aus dem Gast, dem „Pilger” ein „Prüfling”, aus diesem endlich nach geheimer Abstimmung der eigentliche Schlaraffe werden kann. Der erhält dann als „Knappe” die laufende Mitgliedsnummer seines Reyches, erst nach weiterem Examen wird er „Junker”. Mindestens zehn weitere „Sippungen”, also wöchentliche Veranstaltungen in der „Burg” des örtlich zuständigen Reyches, muß er besuchen, bis er zum Ritter geschlagen werden kann. In diesem Stand erst erhält er seinen endgültigen, meist witzigen, persiflierenden Namen, erst jetzt verfügt er über alle Rechte im ritterlichen Spiel mit geistigen Waffen. Wer erst ein paar mal „gesippt”, aus dem Buch mit 124 eigenen Liedern gesungen, statt Bier und Wein zu trinken, „Quell und Lethe gelabt” hat, wird bald begreifen, daß all diese überlieferten, in 19 Concilen beschlossenen Regeln, der Aufwand mit „Helmen” aus Stoff nur dem Reinen Spiele dienen. Und die Titel und Orden, die da für oder auch ohne Verdienste verliehen werden, ebenfalls nur mithelfen sollen die „Profanei” zu vergessen, zumindest im Narrenspiegel zu sehen. So ähneln denn auch viele schlaraffische Ritterhelme eher den alten Narrenkappen.

Doch nicht nur ein Spiel ?

Schlaraffia lebt freilich nicht nur vom wöchentlichen Treff Oktober bis April, sondern von der Begegnung in aller Welt. Schlaraffen sind nie allein. Sie pflegen Freundschaften im eigenen Reych und sind in aller Welt bei den anderen willkommen. Die Einsamkeit des Alters gibt es für sie nicht. Dazu hilfreich ist neben der deutschen Sprache das “„Vademecum”, das Ort, Wochentag und Thema der Veranstaltungen vermerkt, somit entsprechende Vorbereitungen ermöglicht.
Im Paß, den der Schlaraffe erhält, werden solche „Einritte” bestätigt. Vom ältesten bestehenden Reych mit der Nummer 2 in Berlin bis zu 426 in Bad Vöslau in Niederösterreich. Daß trotz dieser Zahl offiziell nur 261 örtliche Vereinigungen bestehen, ist vor allem Folge politischer Vorgänge. Obwohl in Schlaraffia Politik, Religion, Geschäft streng verpönt sind, wurde sie vom NS-Regime verboten wie die Freimaurerei. Und neben der von Schlaraffen aller Zeiten verehrten, besungenen Gründungsstadt „Praga” sind ihre Burgen vor allem im Osten aber auch in den Niederlanden, Großbritannien zerfallen.
Über dem großen Teich wurde Schlaraffia vor dem Zweiten Weltkrieg Treff, so etwas wie Heimatersatz von Auswanderern. Am 2. November 1994, unmittelbar vor ihrem, alle fünf Jahre fälligen Welttreffen, dem „Concil”, kamen Schlaraffen nach rund 60 Jahren auch wieder am Ursprungsort ihres Bundes, öffentlich zusammen. Freilich nur zu einer Gedenksippung und zu einem Festkonzert des Allschlaraffischen Orchesters im ehemaligen Deutschen Theater Prag, aus dessen Ensemble die Gründungsmitglieder stammten.
Die Nadel oder Perle am Revers als Erkennungszeichen führt persönlich Unbekannte zusammen, macht sie oft genug zu Freunden. Von der Idee erfaßt sind Männer aller Berufe, nach wie vor viele vom Theater, solche, die Musik von Berufs wegen oder als Amateure kaum weniger gewissenhaft und zum Genuß ihrer Freunde betreiben. Viele andere finden mit Prosa oder Reim ein Podium, irgendwie kann sich jeder nützlich machen – und sei es mit aufmerksamen Zuhören. Jeder gibt, was er kann. Keiner muß, doch jeder darf, wenn er will. Erstaunlich, was in manchem an Geist und Witz schlummert, zu bestimmten Themen geweckt wird. Es gehört wohl zum spezifischen Wert dieses Bundes, jeden zu sich selbst zu führen.
Doch es wäre kein Spiel von Rittern, würde nicht Respekt gezollt, Disziplin geübt, Schmach im spaßigen Duell gesühnt. Und wie hinter den Namen, Titeln und Orden, es steckt selbst im Spiel der sinnvolle ernste Kern. Abgesehen davon, daß auch Schlaraffen nur Menschen sind…….. Dazu bekannt haben sich beispielsweise Franz Lehar, Peter Rossegger, Clemens Schmalstich wie der Erbauer der Großglockner- straße, Franz Wallack, der Raketengeneral Walter Dornberger, die Schauspieler Paul Hörbiger, Richard Münch.
Um wenigstens zwei zu nennen, die selbst über den Bild- schirm schlaraffische Heiterkeit strahlen, sei verraten, daß den bayrischen Staatsschauspieler Gustl Bayrhammer wie den Wetterkartenmaler Uwe Wesp die Schlaraffennadel ziert.

Und die Frauen?

Ein Bund von Männern also – und doch sind Frauen willkommen, sind dabei zu Jubiläen, beim Turney, zum Fest ohne Anlaß, zu Konzerten eigener Ensembles oder des kompletten „Allschlaraffischen Orchesters” mit Musikern aus mehreren Orten. Über derlei Ereignisse und manches mehr berichtet weltweit in deutscher Sprache die eigene Schlaraffen-Zeyttung.
Was Schlaraffen an Büchern schrieben, füllt in der Allschlaraffischen Bibliothek Berlin inzwischen mehrere Räume. Obwohl sie sich selbst mitunter Ritter der Romantik nennen, nicht Blaue Blumen als unerreichbare Ziele anstreben, betreiben viel dieses Spiel wohl ganz bewußt: als Methode gegen Streß und Frust.
Wen wundert ́s da noch, daß ernsthafte Statistiker nachwiesen, die Lebenserwartung von Schlaraffen sei um etwa fünf Jahre höher als die anderer Männer ! Daran, daß sie ein eigenes Hilfswerk, eigene Sterbekasse besitzen, kann’s doch nicht liegen….

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